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Wege zu Kraft und Schönheit

Körperkult auf dem Weg zur Propaganda

Wege zu Kraft und Schönheit, gedreht von dem Theater- und Filmregisseur Wilhelm Prager, uraufgeführt 1925 im Ufa-Palast am Zoo, gilt als seltenes Beispiel für einen thematischen  Film mit ästhetischem Anspruch – Kunst sozusagen -, der zugleich ein breites Publikum erreichte. Leider habe ich den Fehler gemacht, ein bisschen in den Film reinzuschauen, viel darüber zu lesen und dann erst den ganzen Streifen am Stück durchzusehen. Mir war deshalb beim genauen Hinsehen immer im Hinterkopf präsent, dass der Drehbuchschreiber und wissenschaftliche Berater Nicholas Kaufmann in der NS-Zeit große Karriere als Propaganda-Produzent für das Regime gemacht hat. Warum ich euch dieses „Wahrnehmungsraster“ trotzdem bereits im Vorspann mitgebe? – Schaut selbst rein (s.u.) in den wirklich mit interessanten Mitteln gestalten Film und prüft, was er in euch anspricht. Mich hat er von vornherein irritiert, aber ich habe auch vieles entdeckt.

Antike und Moderne in Harmonie – ein kurioser Weg

Tugend und Schönheit (Teil 1)
Es ist eine Idee aus dem deutschen Idealismus, die Werte aus der Antike wieder neu für die Gegenwart zu beleben. Der Film nimmt in großem Stil Anleihe an diesem Konzept und beginnt schon in der ersten Texteinblendung mit einem Zitat des Zeremonienmeisters Goethe: „Wenn wir zur Antike zurückschauen, scheinen wir zum ersten Mal in der Lage zu sein, uns selbst zu verstehen und zu begreifen, wozu der Mensch fähig ist.“
Was anderes sollten die Wege zu Kraft und Schönheit unter diesem Duktus sein als das Training der griechischen Athleten im Gymnasium? – Bilder von griechischen Statuen, dann der Kontrast „Die Menschen heute sind (…) nicht alle kräftig, aber stets sind sie nervös“, eine hektische Alltagsszene einer Familie, Streit, Babygeschrei (per Szenenschnitt) und die Hupe des wartenden Autos inbegriffen. Und ein „Gymnasium“ – auf eine antik gestaltete Eingangspforte scheißen Tauben, darunter strömen Jungs in die höhere Schule – ist nur noch ein Ort des Paukens von „Grammatik“ in gebückter Haltung. „Lebenskampf“, so die Einblendung, „bedeutet heutzutage, daß der Geist wirksam geschult werden muss, (…) der Körper jedoch wird vernachlässigt zwischen Büchern und Maschinen“ – genau das illustrieren die darauf folgenden Szenen (Lehrer, Fabrikarbeit, Stadt-Chaos als Collage, rauchen und trinken in der Freizeit) – alles sich rächende „Sünden“ (Anstalt von Kindern mit verkrümmtem Rücken) … um dann die „Tugend und Schönheit“ der Griechen zu zeigen: eine Szene voll von Athleten beim Sport im Gymnasium. Zurück zu den Statuen – moderne Menschen strömen in die Glyptothek und werden vor den Kunstwerken sitzend in den Kamerafokus genommen, aber das Betrachten der Betrachteten reicht nicht …
Die Botschaft der Götter wird vernommen: Die antike Tugend der Körperertüchtigung muss wieder mit neuem Leben gefüllt werden. Der Weg? – „Es gibt verschiedene“.

Die moderne Erfüllung (Teil 2-6)
Das Programm des Films ist durch den ersten Teil mehr als klar umrissen und gliedert sich in fünf weiteren Teile auf, die alltägliches Training, Gymnastik, Tanz, Sport und das öffentliche Luftbaden in verschiedensten Szenen zeigen, bei den künstlerischen Szenen zelebrierend, bei den Übungen geradezu wissenschaftlich (z.B. eine Näherin zuerst nackt, dann angezogen, um die schlechte Haltung zu verdeutlichen), bei Alltagsszenen und Sport durchaus mit kleinen Witzeinlagen. Neben Athleten (z.T. international bekannte Sportler wie Jack Dampsey und Johnny Weissmüller) und Bewegungskünstlern werden uns in einem Teil berühmte Persönlichkeiten beim Gesellschaftssport vorgeführt: David Lloyd George und John D. Rockefeller beim Golf, die Norwegische Königsfamilie, Benito Mussolini und Gerhart Hauptmann mit Frau am Strand von Rapallo – diese Prominenz erklärt vielleicht einen Teil der Beliebtheit und des Erfolgs.
Und wo endet der Film? Es kann ja nur in der Antike sein, oder? – Richtig, aber nicht beim Sport, sondern bei der Körperpflege … also dem römischen Bad. Diese lange Szene (fast) zum Abschluss mit badenden Frauen rund um die römische Hausherrin berührt peinlich, nicht wegen der nackten Haut, sondern weil sie aufgesetzt und überflüssig wirkt, womit ich zu meinen subjektiven Eindrücken komme.

Eindrücke und Irritationen

Dokumentationen und Sportaufnahmen hatten in der Mitte der 20ger Jahre noch Seltenheits- und Neuheitswert. Für mich als medienüberfluteter Mensch sind diese z.T. sehr schlicht gedrehten Szenen banal oder rufen bei den Nachstellungen antiker Szenen, Reenactments genannt, sogar fremdschämende Gefühle hervor. Die Tanzperformance ließ mich mitunter gelangweilt abschweifen, wobei ich die sportlichen Ereignisse mit mehr Geduld und Interesse ansehen konnte. Alles entspricht nicht mehr den modernen Sehgewohnheiten, am ehesten noch die Sportszenen.
Trotzdem muss ich dem Film einen gewissen Charme und Witz zubilligen. Allein die erste Alltagsszene ist köstlich, slapstickartig. Und immer wieder finden sich nette Einlagen. So sticht in der pathetischen Badeszene die Sklavin ihrer Herrin beim Frisieren versehentlich mit einer Haarnadel in den Kopf und erschrickt, um sogleich wieder in ihre würdige Haltung zurückzufinden. Oder das Taktspiel der Kinder fand ich wirklich lustig und ein bisschen berührend.
Befremdlich bleibt der volksbelehrende Habitus. Klar, das mag man heute nicht mehr. Andererseits, wenn ich mit meinem Sohn Tierfilme schaue, gibt es ähnlich nervige Belehrungen, statt die Bilder schlicht und einfach für sich sprechen zu lassen. Die Vielfalt der körperlichen Betätigungsfelder und das Bemühen, wissenschaftliche Ansätze zu vermitteln, muss ich trotzdem bewundernd anerkennen.
Leider wusste mein Gedächtnis auch vorher schon, dass der germanische Körperkult eines der Propaganda-Instrumente der NS-Zeit war. Selbst wenn ich nicht nachgelesen hätte, dass der Drehbuchautor Nicholas Kaufmann später NS-Filme gedreht hatte, das Befremden über so viel inszenierte Körperlichkeit bei gleichzeitiger Herabwürdigung oder Trivialisierung des Geistigen wäre vermutlich trotzdem groß gewesen.

Platz in der Filmgeschichte

Innovativ oder massentauglich?
Filmtechnisch ist alles statisch in der Kameraführung abgedreht mit unterschiedlich schnellen (meist langsamen) Szenenwechseln, unterbrochen von textuellen Erklärungen. Erwähnenswert sind (wobei ich da völliger Laie bin) die Zeitrafferaufnahmen, die klug eingesetzt Muskelspiel, körperliche Geschmeidigkeit oder aufgrund von Geschwindigkeit nicht zu Erkennendes unterstreichen. Insofern ist Wege zu Kraft und Schönheit in keinster Weise avantgardistische Kunst, sondern schmeichelt den üblichen Sehgewohnheiten.
Interessant ist die didaktische Ausrichtung, die filmtechnisch mit simulierten Animationen etwa der Lunge im Liegen bei der Bauchatmung oder durch aufeinander folgende Szenen in unterschiedlicher Darstellung (z.B. die Näherin s.o., nackt und angezogen) erreicht werden. Oft sind die textuellen Aussagen der Einblendungen direkt szenisch umgesetzt, wenngleich die dialektische Gegenüberstellung von Antike und Industrie, griechischem Athleten und verkrüppeltem Arbeiter alles andere als subtil ist.

Die zeitgenössische Kritik
Als der Film 1925 herauskam und 1926 eine Neugestaltung erfuhr (aufgrund von Zensurauflagen, s.u.), wurde er fast durchweg positiv aufgenommen und fand eine große Resonanz beim Publikum. Die sachverständige und schön verfasste Rezension von Siegfried Kracauer liest sich selbst wie ein Werbeplakat:

Den vielen, die noch abseits stehen, mag er die Bedeutung des
wohlgebauten Körpers, den nicht nur körperlichen Sinn des richtig
verstandenen Sports erschließen, er mag die Lust zur Nacheiferung
erwecken und so für seinen Teil mithelfen an der Heranbildung eines mit
leiblichen Tugenden gesegneten Geschlechts. Der nackte Mensch steht, wie
es nicht anders sei kann, im Mittelpunkt dieses Films. Der nackte,
nicht der ausgekleidete. Der ungezwungen und rhythmisch sich bewegende,
dem die Gelöstheit der Glieder eine Selbstverständlichkeit ist, nicht
der seines Körpers ungewohnte, der von den ihm verliehenen körperlichen
Gaben keinen Gebrauch zu machen weiß. Damit entfallen von vornherein
jene Bedenken, an denen man es von mancher Seite dem Film gegenüber
nicht hat fehlen lassen. An der Hingabe, mit der die nackten Gestalten
im freien Gelände sich üben, wird ein jedes Begehren, das nicht der
Sache gilt, zu Schanden, das Bild bleibt Bild und erhält sich in der ihm
gemäßen Distanz, und nur die Freude über Spiel, Gewandtheit und
Rhythmik kommt auf.
Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung (Stadt-Blatt), 21.5.1925

Zwanzig Jahre später, von den Nationalsozialisten in das Exil nach USA getrieben, beurteilt der Filmkritiker das Werk sehr viel negativer, aber nicht weniger treffend: „Künstlerisch betrachtet waren die antiken Szenenbauten abgeschmackt, die
Sportaufnahmen vorzüglich und die Körperschönheiten zu solchen Massen
zusammengeballt, daß weder ästhetische noch andere Reize von ihnen
ausgingen“ (Krakauer, S. 93).
War Nacktheit kein Problem? Tatsächlich war die Verbannung von nackten Körpern und Sexualität in den 20er Jahren in Deutschland durch Bewegungen wie die Freikörperkultur nicht kompletter Konsens der Gesellschaft. Trotzdem konnte es nicht ausbleiben, dass Konservative gegen diesen Film Sturm liefen. Als „Schmankerl“ eine Beschwerde aus der bayrischen Metropole: „Die in dem Film verherrlichte Nacktkultur und damit der Film selbst sind aber geeignet, das sittliche Empfinden weitester Volkskreise zu untergraben“ (➛ Zensurdokument vom 10.06.1925 auf dem Filmportal). Die Ufa reduzierte daraufhin den Film um einige anstößige Szenen, vermehrte den Anteil an Sportaufnahmen und gab 1926 eine Neuauflage heraus, die nicht mehr von der Zensur beanstandet wurde.

Der erste Ufa-Kulturfilm
Wege zu Kraft und Schönheit
war der Auftakt zu einer besonderen Form von Kulturfilmen – aufgrund des Erfolgs des ersten machte die Ufa eine ganze Reihe daraus. In seiner psychologischen Filmgeschichte, die kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs veröffentlicht wurde, beurteilte Siegfried Kracauer in der Rückschau die Ufa und ihre Anliegen extrem kritisch.

Die Ufa-Kulturfilme entwickelten sich (…) zu einer besonderen
Spielart des deutschen Films. (…) Ihre handwerklich und technischen
Qualitäten vermochten aber für ihre bestürzende Gleichgültigkeit
gegenüber menschlichen Lebensfragen nicht zu entschädigen. (…) Mit
ihren neutralen Ausflüchten ließen die Ufa-Kulturfilme kaum einen
Zweifel darüber, daß sie sich den Spielregeln des republikanischen
Systems zwar anbequemt, aber sie deshalb noch keineswegs anerkannt
hatten (Kracauer, 93 f.).

Körperkult und Propaganda
Ganz ehrlich. Wer Hitlers großen Weltpropaganda-Film gesehen hat, Riefenstahls Dokumentation der deutsche Olympiade von 1936 ( „Olympia“, 1938), muss sich erinnert fühlen. Die Inszenierungen sind dort filmtechnisch weiterentwickelt, spielen aber mit den gleiche Motiven der Inszenierung von durchtrainierter Körperlichkeit und der Gegenüberstellung von antiken Athleten mit modernem Sport.
Einen gewissen internationalen Charakter und den didaktischen Gedanken kann man Wege zu Kraft und Schönheit nicht absprechen. Manche sahen sogar mehr darin: „In einer (…) Broschüre der Ufa schrieb ein berufsmäßiger Lobredner, daß man bei diesem Film ‚die Erneuerung der menschlichen Rasse‘ im Sinn gehabt habe“ (Kracauer, S. 93).
Trotzdem ist der Weg von einer Überbetonung der Körperlichkeit ohne Kontext und Relativierung (s. Kritik von Kracauer am Ufa Kulturfilm) hin zum Körperkult und rassischer Überlegenheits-Propaganda nicht weit, weshalb Wege zu Kraft und Schönheit „in der Filmgeschichtsschreibung den Ruf eines protofaschistischen Werks“ (Novak, S. 160) erhielt. 

Vorsicht Vorurteile
Ich finde allerdings, man sollte vorsichtig sein, dass das eigene Befremden über den Film, was schlicht durch die Distanz und andere Sehgewohnheiten bedingt ist, nicht zu einem schnellen Vorurteil führt. Natürlich habe ich mich sofort an einen Propaganda-Film erinnert gefühlt. Aber tatsächlich hieß Werbung in dieser Zeit noch schlicht „Propaganda“ (z.B. in Erich Kästners Fabian von 1931), und ja, es ist in seiner Art ein „Werbefilm“ für körperliche Gesundheit. Vielleicht sollte man eher andersherum argumentieren, dass das recht neue Medium Film mit seinen Möglichkeiten leicht zu missbrauchen war.
Trotzdem bleibt das Gefühl, dass die innere und zeitliche Distanz zu einem so gearteten Werbefilm aus heutiger Sicht zu groß ist, um wirklich gefallen zu können.

Siegfried Kracauer: von Caligari bis Hitler. Ein Beitrag zu Geschichte des deutschen Films, Rowohlt 1958 (1947), 200 Seiten.

Kai Novak: Projektionen der Moral. Filmskandale in der Weimarer Republik, Wallstein Verlag 2015, 527 Seiten.

 Links

Wege zur Kraft und Schönheit (YouTube Fassung des Films; Länge 1:29:33, welche Version ist leider unklar, vermutlich von 1926)

Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung (Stadt-Blatt), 21.5.1925 (historische Filmkritiküber „Wege zu Kraft und Schönheit“) – unbedingt lesenwert!

Weg zur Kraft und Schönheit  Detaildaten auf Filmportal.de mit zusätzlichen historischen Materialien (z.B. Kritiken)

 
Margarethe Ludendorff
Adolf Hölzel
Adolf Hölzel
Margarethe von Wrangell
Theordor Heuss: Erinnerungen 1905-1933
Rudolf Braune: Das Mädchen an der Orga Privat
Thomas Ziebula: Der rote Judas
Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland
Volker Weidermann: Das Buch der verbranten Bücher
Sebastian Haffner: Die Geschichte eines Deutschen
Sebastian Haffner: Von Bismarck bis Hitler
Erich Kästner: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten
Hans Fallada: Kleiner Mann - was nun?
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