Kunstflanieren …
Das Museum
Schreitet man über den Friedrichsplatz in Mannheim vorbei an dem eindrücklichen Wasserturm auf die Kunsthalle in Mannheim zu, präsentiert sie sich mit einem nüchternen Neubau von 2018 – in stahlvernetztem Überzug. Die Eingangshalle ist weitläufig und hell, mit Kasse und den Aufgängen zu den Ausstellungteilen bis ins zweite Stockwerk; eine sich drehende Uhr schwebt über allem. Das hintere Bauwerk, direkt in den modernen Teil durch zwei Übergänge integriert, ist im Jugendstil erbaut und beherbergte die Ausstellung des damals noch jungen Mannheimer Kunstmuseums von 1925, heute die ständige Ausstellung, ebenfalls mit einem Schwerpunkt auf Werke vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Eindrucksvoll fand ich das Lampenarrangement (s. Titelbild) über der szenischen Wanddekoration zwischen den Marmorsäulen mit Bildern Mannheims aus den Zwanzigern.
Die Ausstellung
Schlangestehen am zweitletzten Wochenende – man hätte sich intelligent auch eTickets vorher besorgen können. Drängeln vor den Bildern und überall. Davon mal abgesehen: Eine Litfaßsäule, Symbol der Zeit und häufiges Bildmotiv – mit digitaler Info als Intro, Zahlentafeln der Zeitgeschichte, eine Dokumentation des Originalkatalogs.
Der erste Raum startet mit den prominentesten Künstlern wie Otto Dix, Max Beckmann, George Grosz, Georg Scholz und nimmt ins Herzstück der Zeit mit: die präzise dargestellte Groteske der verrückt gewordenen Welt nach dem Zusammenbruch der wilhelminischen Ära– wie Babylon Berlin. Irritierend abstoßend und anziehend faszinierend zugleich. Abbild des Zeitgeschehenes.
Der nächste Teil: „Das Bild des Menschen“ – detailgenaue Abbildungen von Portraits, Personen und Szenen, die fast alle wie zum Typus stilisiert wirken und einen Verfremdungseffekt vom Individuum weg anstoßen, bei Georg Schrimpf und Wilhelm Scharrenberg bis hin zu einer Vereinfachung zum Kindlichen und Wimmelbild. Ich konnte keine innere Beziehung zu den dargestellten Menschen als Person herstellen und doch strahlten sie etwas von ihrem Lebensgefühl aus – kurios.
„Das Bild der Frau“ erzählt von dem erstarkten Selbstbewusstsein der städtischen Frau, sei es klassisch, mit Bubikopf und Zigarette oder wie bei Alfred Birkle „im offenen Wagen“. Typisch für die Sachlichkeit auch: die Frau bei der Arbeit als Näherin und Wäscherin, aber ebenso in neuen Berufen wie als Jazzerin, Laborantin und Angestellte. Vielfältig.
„Körperideale“ – Akte in unterschiedlicher Art, mit jungen verführerischen Frauen, normalen, alten und dicken, posierend überzeichneten. Erotik kommt dabei nicht auf. Die Darstellung von Körpern bei Akrobatik und Sport ist ein neues Motiv dieser Jahre. Wirkt wie Propaganda. Wurde es auch nur wenige Jahre später.
„Selbstbildnis“ – des Künstlers eitelstes Metier, inszeniert und symbolgeladen, manchmal surrealistisch. Neu sicher die Kontexte, in die sich die KünsterlerInnen setzen: Augenarzt, Radiobastler, Autohaus, Straße, Mittelalter, Dachstube. Kreativ.
Man sollte es nicht glauben, aber das Stillleben ist noch immer nicht unter dem Staub der Zeit erstickt. Im Gegenteil. Es lebt, ist bunt. Die herrschaftliche Jagdtrophäe ist verschwunden. Dafür ist der Alltag lustiger Motivgeber: Dachboden, Putzutensilien, gedeckter Tisch (immer noch!) und Gläser, Gummibaum, lebende Fische und Haustiere. „Es handelt sich um die Ding-Entdeckung nach der Ich-Krise“ (182), wie der Kunstkritiker Wilhelm Michel 1925 schreibt – ein Hauptgenre der Neuen Sachlichkeit. Mein Favorit von Georg Scholz „Kakteen und Semapore“ – einfach nur schön.
Wie die Stillleben werden auch die Bilder mit neuem Blick auf Landschaften, Orte und Industrietechnik im zweiten Stock gezeigt. Detailgenau und typisierend entfremdet – diese seltsame Kombination spricht mich an, weil es nicht mimetische Kunst ist und trotzdem die Zeit einfängt, weil weder im- noch expressionistisch verfärbt oder subjektiviert und dennoch düster-symbolische Momente wie Tod, Einsamkeit, Kälte und Verlorenheit als Aussage transportiert werden. Motive sind nicht die Wahrzeichen einer Stadt, sondern Gefängnisse, dunkle Ecken, Abbruchfassaden, Hauswände mit Werbung, Hinterhöfe und natürlich Industrieanlagen, technische Bauwerke, Straßenzüge und Eisenbahnen in allen Varianten. Mit dabei Reinhold Nägele mit einem Bild von der Weißenhofsiedlung und dem Abbruch des alten Stuttgarter Bahnhofs. In der Landschaft begegnen ebenfalls Fabriken, (neo-)romantisch bei Georg Scholz und Georg Schrimpf, blut- und bodenhaltig in Werner Peiners Bauernidyll, und in die menschenleere Räumlichkeit gezogen bei Alexander Kanoldt.