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Die andere Margarethe – Ludendorffs Frau

„Ein peinliches Buch. Ein beschämendes Buch. Die Karikatur Preußens“ …

… schreibt  Kurt Tucholsky über die 1929 veröffentlichte Autobiographie Margarethe Ludendorffs. Immerhin hat der Weltbühnen-Kritiker sie zur Kenntnis genommen – als Exfrau von Erich Ludendorff war sie einfach zu prominent, um ignoriert zu werden. Ihr Mann hatte im Ersten Weltkrieg zusammen mit Paul von Hindenburg die Oberste Heeresleitung inne, putschte zweimal gegen die Weimarer Republik (Kapp 1920, Hitler 1923) und scheiterte in der Wahl zum Reichspräsidenten 1925 als Vertreter der Völkischen kläglich. Wenn seine geschiedene Frau Margarethe etwas über diese Zeit in „Als ich Ludendorffs Frau war“ zu berichten hat, war das höchst brisant.
Wie würde man das Werk heute einstufen? – Neben Anmerkungen zu geschichtlich bedeutsamen Situationen im gemeinsamen Leben der Ludendorffs, die historisch fragwürdig sind, ist diese Biographie vor allem ein Zeugnis für die Einstellungen und Ansichten einer großen Dame der Militärelite im Deutschen Reich. Obwohl sie fast zur gleichen Zeit geboren wurden und starben, hat Margarethe Ludendorff ein diametral anderes Leben geführt als ihre Namensverwandte  Margarethe von Wrangell. Diese „andere Margarethe“ ist eine Repräsentantin der unwiederbringlich vergangenen Kaiserzeit, der sie bis zu ihrem Tod nachzutrauern scheint. Mich hat auch diese Seite der Gesellschaft in der Weimarer Republik interessiert, weil sie sehr präsent und bestimmend war.

Was man über Frau Ludendorff weiß

Es gibt keinen Wiki-Artikel und auch sonst war es gar nicht so leicht, mehr über diese nicht unwichtige Persönlichkeit herauszufinden. Geboren wurde sie 1875 als Margarethe Schmidt in Berlin, wuchs begütert als Fabrikantentocher auf, heiratete 1894 mit 19 Jahren den 23-jährigen Bauindustriellen Carl Pernet, hatte mit diesem vier Kinder (Söhne: Heinz, Franz, Erich; Tochter: Margot), wurde 1908 geschieden und heiratete 1909 den zehn Jahre älteren Major Erich Ludendorff, mit dem die Ehe bis 1925 dauerte. 1929 schreibt sie ihre Biografie, tritt 1932 der NSDAP bei und stirbt 1936 mit 61 Jahren in München.
Die zweite Frau von Ludendorff,  Mathilde Spieß, behandelte Margarethe als Ärztin wohl ab 1924 und berichtet in ihren Memoiren von einer schlimmen Morphiumsucht ihrer Patienten. Auch aus den Erinnerung Ludendorffs lässt sich schließen, dass seine erste Frau schon während des Ersten Weltkriegs süchtig wurde. Wie ich nachgelesen habe, war Morphium damals als Schmerzmittel durchaus verbreitet und führte in vielen Fällen zur Abhängigkeit mit schweren psychosozialen Folgen. Sollte dies der Wahrheit entsprechen, hätten wir es bei der Autobiographin mit einer kranken und labilen Frau zu tun, deren Erinnerungsvermögen und Realitätsbewusstsein womöglich stark beeinträchtigt war. Andererseits ist über Mathilde Ludendorff bekannt, dass sie eine rassistischen Verfechterin von esoterischen und verschwörungstheoretischen Ideen war und das Versagen des Nationalsozialismus grotesker Weise „überstaatlichen Mächten“ des Judentums, der Kirche und der Freimaurer zuschrieb. Auch Erich Ludendorff, der diese paranoiden Ideen mit seiner zweiten Ehefrau teilte, wird von Historikern in seinen letzten Jahren bis zu seinem Tod 1937 ein mehr als fragwürdiger Geisteszustand attestiert.
Bleibt also die Autobiographie Margarethe Ludendorffs als Quelle für ihr Leben. Wie könnte man diesen Wert einschätzen? Der Herausgeber ist Walther Ziersch, ein völkischer Autor von Romanen und Dokumentation, der unter anderem 1934 ein Werk über die Hitler-Jugend verfasste. Schwer zu beurteilen, welche Interessen er mit der Herausgabe verfolgte und in wie weit er am Manuskript mitgewirkt hat, obwohl er im Vorwort beteuert, dass die „Verfasserin ganz auf sich gestellt“ schreibt, „frei von Zweckgedanken“ und „stets mit historischer Objektivität“ (VII).
Zumindest Eindrücke ohne Anspruch auf historische Korrektheit kann das Buch vermitteln. Vielleicht kein „Blick hinter die Kulissen des Welttheaters“ (2), wie Frau Ludendorff verspricht, aber hinter die schöne „Maske“, die sie „so oft im Leben getragen hatte“ (239).

Der Blick der preußischen Offiziers-Gattin

Es ist ja kein Wunder, dass Margarethe Ludendorff als Frau eines bedeutenden Heerführers die Perspektive der preußischen Weltauffassung teilt, mit allen Verklärungen und einer heftigen Kritik an den Entwicklungen in Deutschland nach dem Untergang des Kaiserreichs. 

Schwänke voll der Militärromantik
Bezeichnend ist, wie Margarethe Ludendorff erzählt, dass sie nach der „Revolution“ (vermutlich Anfang 1919) einen kleinen „Trupp Reichswehr mit klingendem Spiel“ beobachtet und in Tränen ausbricht. Erinnerungen an den „Zapfenstreich vor dem königlichen Schloß“ brechen in ihr hervor, von dem „Schauspiel von wahrhaft kaiserlicher Pracht und militärischer Strammheit“ (13). Die „Truppenschau“ im Ausland, der sie „einmal beiwohnte“, war dagegen ein einziges „Durcheinander“. „Jedem unserer braven preußischen Unteroffiziere wären da die Haare einzeln durch den Helm gewachsen vor Entsetzen“ (14).  Ein Hoch auf die preußische Militärdisziplin.
Für den Führungskreis dieser Armee, den Großen Generalstab, findet sie ähnlich schwelgerische Worte: „Der gütige Zufall hatte einen Kreis besonderer Menschen zusammengeführt: tüchtige, gutaussehende Männer von vornehmer Gesinnung und hübsche junge Frauen, alle liebenswürdig und talentiert“ (8). Bemerkenswert finde ich vor allem das perfekte Ineinanderfallen von Aussehen, Gesinnung und Fähigkeit, eine fast arisch zu nennende Kombination.
Es kann also nur eine böswillige Fälschung („wegretouchiert“ 88) und „französische „Propaganda“ (87) sein, wenn im Krieg Fotographien von Kaiser, Generälen und Offizieren auftauchen, die sich unbekümmert weitschweifigen Festlichkeiten hingeben, während die einfachen Soldaten in Schützengräben hungern und sterben. Von der Autorin unbemerkt schildert sie keine Seite später, wie luxuriös der Extrazug für ihren Mann und Hindenburg ausgestattet war. Und ebenso unbekümmert schwärmt sie von der „Tafelrunde des Feldmarschalls“ (129).
Zum Stand der Gattin eines Oberbefehlshabers gehörte vielleicht auch, dass man in leisen Tönen andere Bereiche des Militärs herabsetzt, was an verschiedenen Stellen vernehmbar ist. Eine leichte Ironie gar birgt die Anekdote von einem Kommandeur, der als „kugelfest galt“, aber seinem „Ruf zum Trotz“ am Ende“ heldenmütig kämpfend“ (55) fiel. Bei der Kolonialstrategie des deutschen Militärs wird bemängelt, dass man sich einfach nicht in fremde Kulturen einfühlen kann. Und überhaupt, dass in Deutschland viele „bedeutende Männer auf die falschen Plätze gestellt wurden“ (172).

Politisches Gerangel im Ersten Weltkrieg
„Alles hat er getan, um den Krieg zu verhindern“ (77), schreibt Erich Ludendorff in einem Brief an seine Frau. Gemeint ist der Kaiser – ich lass das so stehen. Die Kriegsbegeisterung bei den drei Söhnen von Margarethe ist trotzdem groß, und die Einschätzung weit verbreitet: „Ein moderner Krieg ist in höchstens vier bis fünf Monaten erledigt. Länger hält das kein Staat aus. Dann sind alle (…) restlos pleite“ (74). Aber leider: „Die bedeutendsten und klügsten Persönlichkeiten haben sich verrechnet. Aus Monaten wurden Jahre (…), in den wir alle nie aus Bangen und Sorgen herauskamen“ (75). Denn nach anfänglichen Siegen, wendet sich das Blatt zum Schlechten – die Stimmung kippt, „Unaufrichtigkeit und Falschheit“ (186) zerstören Zusammenhalt und Siegeswillen. 
Sie berichtet von Spionageangst bzw. -wahn, der überall umging und auch nächste Bekannte in ihrer Umgebung traf. Von der falschen Entscheidung für den „uneingeschränkten U-Bootskrieg“, gegen den Ludendorff sich angeblich ausspricht (147) und der die Übermacht der Feinde bewirkte (Eintritt der USA in den Krieg). Und von dem Streit um die Schuld an der verlorenen Marneschlacht, die wortreich auf General von Falkenhayn geschoben (163 ff) wird, wovon Hindenburg und Ludenforff profitieren. Die Auseinandersetzung mit mehreren Reichskanzlern gar über die Militärstrategie enden in „offene Feindseligkeiten“ (169).
Gemäß dem Narrativ der Dolchstoßlegende  wird der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger als ein Mann voller „Eitelkeit“ und „Machtwillen“ geschildert, der hinter den Kulissen intrigiert. „Erzberger erzählte mir (…), wie er im Geheimen Vorbereitungen treffe, die Revolution in Rußland zu entfesseln“ (182), indem er Lenin und Trotzki mit dem Zug über die Grenze brachte. Er war der Zivilist, der später gegen die Ansichten des Militärs die Friedensverhandlungen führte.
Am Ende des Kriegs wird erste Kritik an der militärischen Führung Ludendorffs laut, dann spricht man von „Lügenberichten der Obersten Heeresleitung“ (195), die Ludendorff gegenüber seiner Frau als Tugendlügen verteidigt, um nicht „Angst und Entsetzen“ zu verbreiten ( 196). Die Schmähungen häufen sich und Erich Ludendorff wird als „allein“ Schuldiger betrachtet, „der aus persönlichem Sieges- und Machthunger alle Friedensmöglichkeiten von der Hand gewiesen habe“ (200). Die Entlassung durch den Kaiser folgte, dessen eigene Abdankung jedoch keine zwei Wochen auf sich warten ließ. 

Revolution, Inflation und alles Übel
„Auf große Siege folgte Versailles“ (32) – so das verkürzte Geschichtsbild der Frau General ganz im Sinne der Dolchstoßlegende, als hätte es keine Niederlagen gegeben, keine Kriegsschuld, kein Verschweigen der Grausamkeiten und Versagen der Heeresleitung.
„… es kam die Revolution, es kamen unsichere Zeiten, und (…) die Inflation“. Alles die Folgen einer falschen Regierung, eines falschen Systems. Wieder kein Wort davon, dass die Soldaten vom sinnlosen Stellungskrieg zermürbt aufbegehrten und die wahnwitzigen Kriegsanleihen durch das Kaiserreich die Inflation heraufbeschworen haben.
Margarthe Ludendorff beobachtet durchaus wachsam und manchmal mitfühlend, was nach dem Krieg passiert, ordnet es aber alles ihrer eigenen Weltanschauung unter.
Sie berichtet von Zerstörungswut, „Schießereien in Berlin“ (244), über die schwer zu ertragende Anfeindung wegen ihres Pelzmantels, Fahrten in überfüllten Zügen mit einfachen, stinkenden Menschen. Von Wucher und Schmuggelhandel von Militärgütern und Lebensmitteln, „Generalstreiks“ (261), „Chaos und Terror“ (255) und Armut. „Man war ein Sklave es Markensystems, und die armen Menschen mußten stundenlang anstehen, um die ihnen zugeteilten mageren Portionen in Empfang zu nehmen. Oft wurden die Läden, restlos ausverkauft geschlossen, und ein großer Teil der geduldig Harrenden mußte mit leeren Händen abziehen“ (255).
Als nach den Straßenkämpfen in Berlin (März 1919) der Toten gedacht wurde, urteilt sie wie eine verwöhnte Charity-Lady ohne Geschichtskenntnisse. „In langer Kette folgten Wagen auf Wagen. Ebert, Scheidemann, Haase, Barth: alle die Gewaltigen und Machthaber der Revolution waren im Zuge“ (264). Die Sozialdemokraten waren die Revolutionäre? Um dann zu beklagen, „wieviel Lebensmittel (…) man den Armen und Kranken für das Geld“ der „übertriebenen Trauerbekundungen“ (265) hätte kaufen können. Auch im Urteil über die Münchner Räterepublik sitzt sie den üblichen Vorurteilen auf, wenn sie das Geschehen dort auf den „grauenhaften Geiselmord im Luitpold-Gymnasium“ (267) reduziert.
Die Sehnsucht nach dem alten Deutschen Reich mit allen Privilegien wird überall spürbar: „Dass wir armen Deutschen in den Kriegsjahren und hinterher vergessen hatten, was Wohlleben bedeutete“ (240). Und vielleicht gibt es eine Hoffnung, die sie dem Industriellen Hugo Stinnes in den Mund legt (22): „Die heute an der Spitze des Deutschen Reiches stehen, sind unfähig, die Fäden der Politik und Wirtschaft zu entwirren und alles in sichere Bahnen zu lenken. Sie werden bald an ihrer Unfähigkeit zugrunde gehen, und dann erst kommen die neuen Männer.“ Vielleicht könnte „General Hindenburg (…) der Retter Deutschlands und unserer Nation“ (179) werden, vielleicht ein anderer …

Kapp- und Hitler-Putsch
In der Berliner Viktoria-Straße bricht 1920 ein „betriebsames Leben“ (271) aus, als der erste Staatsstreich im Haus der Ludendorffs geplant wird. Margarethe ist ahnungslos, wurde nicht eingeweiht, was sie gekränkt beklagt. Papst und Kapp nennt sie im Rückblick „Versager und Blender (…). Ihre großen Wort standen in keinem Verhältnis zu ihren Taten“. Alles war aus ihrer Sicht schlecht vorbereitet und unorganisiert, typisch für ihren Mann in dieser Zeit und seine mangelnde Menschkenntnis. Kapp muss nach der Niederschlagung ins Ausland fliehen, Ludendorff kommt ohne offizielle Strafe davon und zieht sich nach München zurück, dem Schauplatz des nächsten Putschs.
Über Hitler hatte Frau Ludendorff gehört, „daß er eine hinreißende Rednergabe besitze und fähig sei, die Menschen in seinen Bann zu ziehen“ (293). Wieder wird vieles im Haus der Ludendorffs ohne ihr Wissen geplant.  Am 09. Oktober 1923 steht es in der Zeitung: „Hitler soeben die nationale Diktatur ausgerufen. General Ludendorff zum Führer der nationalen Armee ernannt!“ Dieses Mal ist auch ihr Sohn Heinz (Bild s.o. rechts) beteiligt, der zunächst als erschossen gilt, aber doch unverletzt blieb, später verurteilt wird und seine Strafe von einem Jahr in der „Festung“ absitzen muss. Die Idee, den „Marsch nach dem Sündenbabel Berlin“ (312) von München aus anzutreten, war laut Ludendorffs Frau kaum weniger gut durchdacht wie der vorherige Putsch. Jeder der Rädelsführer „fühlte sich zum Führer berufen und zum Beglücker des armen irregeleiteten Volks“. 313), aber alles war „übereilt und verfrüht“ (313) durchgeführt, ohne Rückendeckung (durch General v. Seeckt) aus Berlin. Wie dumm. Hitler erhält 5 Jahre, kommt aber nach einem bereits frei. Ludendorff wird nur kurz verhaftet und im Prozess freigesprochen.
Der Strippenzieher Hitler war nach dieser Episode wie geläutert und agierte „wieder munterer“, schreibt Margarethe Ludendorff. „Ein anderer Sterblicher kam in seiner Gegenwart nicht leicht zu Wort“ (330). Wie sie zu ihm letztlich steht, ist nicht klar erkennbar. Dass er ihren Mann benutzt und ausgetrickst hat, indem er 1925 Ludendorff als  Kandidat zur Wahl des Reichspräsidenten für die Völkischen aufstellen lässt, statt selbst anzutreten, ist ihr  nicht entgangen. Die Wahl endete „blamabel“ (333), was Ludendorff schwächte und Hitler in der Partei stärkte.

Das Schicksal

„Also heraus mit der Maske, die ich so oft im Leben getragen hatte. Es galt nach Außen ein Fröhliches Wesen zu tragen“ (239). Dieses nebenbei vermerkte Bonmot könnte tiefe Wahrheit bergen. Denn leicht hatte es Margarete Ludendorff entgegen dem Schein nicht.

Aufstieg und Sturz eines Helden
Wie es ist, mit einem Mann wie Ludendorff verheiratet zu sein, kann ich mir nur schwer vorstellen. Anfangs war er ein unbequemer Querkopf im Generalstab, den man sich seine Hörner abstoßen ließ. Ein bisschen Glück scheint es in dieser Zeit gegeben zu haben. Denn: „Nicht immer trugen seine Züge den Ausdruck unbeugsamen Starrsinnes! Eines zu Eis erstarrten Gefühlslebens“ (12). Die Familie macht sich über die Strenge seines Charakters, über seine „eisernen Grundsätze“ lustig – „Vorsicht! Vater macht heut wieder seine Gletschermiene“ (20) – Bilder von ihm (s.o. links) sind dafür bekannt.
Im Ersten Weltkrieg steigt Ludendorff zum Nationalheld auf. Die Einnahme von Lüttich unter seinem Kommando wird als große Tat gerühmt, wo wir heute wissen, mit wie vielen Morden an der Zivilbevölkerung dieser Sieg erkauft war. Dann natürlich „Tannenberg“ – vom Kaiser ausgezeichnet. Überall, wo er auftaucht, jubelt das Volk … 
Der Absturz kommt plötzlich und schnell. Kritik, Entlassung, Flucht nach Schweden. Immer schon hatte er mit seiner Eigensinnigkeit andere vor den Kopf gestoßen, jetzt sucht er bei allen anderen die Schuld. Natürlich untergruben die Sozialdemokraten die Moral der Truppe, dann trieben sie die Revolution.
„Nach der Revolution tat Ludendorff wiederholt den Ausspruch: Die größte Dummheit der Revolutionäre war es, daß sie uns alle leben ließen. Na, komme ich einmal wieder zur Macht, dann gibt´s kein Pardon. Mit ruhigem Gewissen würde ich Ebert, Scheidemann und Genossen aufknüpfen lassen und baumeln sehen!“ (209).
Verbunden mit Allmachtsphantasien der heftigsten Art: „Noch besser wär es gewesen, wenn ich schon im Krieg die Diktatur an mich gerissen hätte.“ (336).
Die über weite Teile fast ehrfurchtsvolle Schilderung ihres Mannes kehrt sich immer mehr ins Gegenteil: „Menschenkenntnis hat Ludendorff nie besessen, sonst könnte er nicht immer Einflüssen erliegen, die ihn ins Unglück stürzen.“ (276). Für all diese negativen Veränderung hat sie „nur eine Erklärung: daß Mißerfolge und Schicksalsschläge ihn umgemodelt hatten. Sein Tun und Treiben war und ist mir unbegreiflich“, „wie er mit eigener Hand seinen wohlverdienten Ruhm und sein Ansehen untergrub“.
Zuletzt ist es also doch eine Abrechnung mit ihrem geschiedenen Mann.

Das Schicksal der Gesellschaftsdame
Manche der Szenerien des Buches wären reif für eine opulente Sissi-Verfilmung: Opernball in der Kaiserzeit, „das Ereignis des Winters“: „Das ganze Haus war in einem blühenden Garten verwandelt, überall Glanz und Farben. Es ist mir unvergeßlich, daß ich meinen ersten Lancier vor den Augen des Kaiserpaars tanzte“ (15).
Margarethe Ludendorff gibt die charmante Gastgeberin bei verschiedenen Anlässen oder nimmt an Gesellschaften teil, besonders in der Düsseldorfer Zeit: „Riesengesellschaften“, „Bälle“, „kalte Büffets“ (44). Alles an traumhaften Orten wie Schlösser, Herrensitze, dem Berliner Hotel Adlon oder einer „Etage am Tiergarten“ (270) mit edler Kunstausstattung.
Wichtig ist, mit wem man verkehrt: Kronprinz Friedrich Wilhelm, Militärs aller höheren Ränge wie etwa Alfred von Tirpitz und Hindenburg, der Autor Oswald Spengler, schwergewichtige Industrielle wie Hugo Stinnes, Franz Haniel und die alten Thyssens, Künstler, Schauspieler und nicht zu vergessen die Putschisten Kapp und Hitler. Namedropping vom Feinsten, wie man heute sagen würde. Die meisten erwähnt sie eher wie Sammlerstücke und weiß wenig über sie zu sagen.
Und doch ist diese Kulisse wie eine klassizistische Fassade, hinter der sich ein trauriges Schicksal verbirgt.
„Durch mein ganzes Leben zog sich wie ein roter Faden: ich hatte Glück, das sich in Pech verwandelte“ (31). Die Beispiele, die Frau Ludendorff für dieses Unglück anführt wie ein verlorenes Erbe, sind banal, aber das Prinzip scheint gut getroffen. „Von der Schule weg“ (31) heiratet sie ihren ersten Mann, mit dem sie vier Kinder hat, der sie aber wegen einer anderen verlässt. Der aufstrebende Offizier, der sie dann zur Frau nimmt, wird Deutschlands erster Heerführer, aber er verliert den Krieg und sich in abstrusen Unternehmungen, verliebt sich in ihre eigene Ärztin, reicht die Scheidung ein und triftet in Verschwörungstheorien ab. Alle drei wohlgeratenen Söhne entscheiden sich für die Militär-Fliegerei, zwei sterben am Ende des Krieges den unverhofften Heldentod. Das reiche und erfüllte Leben der Grande Dame des deutschen Militärs verliert sich in Trauer und einer unüberwindbaren Morphium-Sucht, die sie nicht erwähnt, aber wahrscheinlich das Leben kostet, wenn es nicht sogar ein Freitod war.

Die Mutter
Ganz konnte ich mich dem Anrührenden nicht entziehen, wie die Mutter über ihre Söhne schreibt, obwohl es eigentlich voller vaterländischem Pathos trieft. Über das Buch hinweg, zeigt sich wenig von der Beziehung zu ihren Kindern, die Tochter ist gar nicht erwähnt, eine Ausflug nach Luzern mit Unternehmungen mit allen per Dampfboot und Auto, mehr nicht. Als der Krieg ausbricht, gerät sie trotz der Begeisterung aller in Sorge. Jedoch: „Als Soldatenfrau durfte ich nicht klein und verzagt sein“. Das hilft ihr nicht.
In zwei Kapiteln schildert sie die Geschehnisse vor dem Tod der beiden Söhne und ihre Trauer. Der älteste Franz zuerst (1917):  „Ich hatte immer geglaubt, Gott habe meinen Sohn zweimal aus Todesgefahr gerettet und ihn mir neu geschenkt, damit ich ihn behalten solle (…) Nun hatte ich ihn doch verloren.“ (133). Dann stirbt „der hübscheste“ und Jüngste von ihren „Jungens“ (150), Erich – ein Paradebeispiel der Entwicklung zu einem preußischen Mann: „Sein Eigensinn wandelte sich zu einer Gradlinigkeit des Charakters“ (151). „Vier Jahre hat er unversehrt in West und Ost, auf der Erde und in der Luft mitgekämpft, da traf ihn das Todeslos.“ (153) Am Abend zuvor hatte er ihr einer Ahnung folgend Trost zugesprochen: „Wenn ich auch viel Schweres durchgemacht habe, ich möchte nicht eine einzige Minute der letzten Jahre missen“ (154). Trotzdem ist der zweite Verlust nicht zu ertragen: „ich weiß nur, dass ich zusammenbrach und von diesem Tag an jahrelang krank und elend gewesen bin.“ (159).
„Mein Glück ist es, und mein Stolz, daß ich solche Kinder besessen habe.“ (156)

Fazit

Nachklapp mit medienkritischer Dimension: Als das prominente Paar den zweiten Sohn zu Grabe trägt, werden sie zur „Zielscheibe ungezählter Photographenapparate“, die sie „schonungslos aufs Korn nahmen“ (135). Ein öffentliches Leben hat Margarethe von Ludendorff zweifelsohne geführt, das ihr am Ende wenig Glück gegönnt hat. Die Yellowpress hätte ihre Freude gehabt.
Mich hat vor allem bewegt, wie sehr Konvention und Luxus den Blick für die Fakten der Wirklichkeit verstellen können – ein fast typisches Beispiel einer wilhelminischen Bürgerlichkeit, die sich nach dem Ende des Kaiserreichs in die Arme des nächsten Despoten gestürzt hat. Dass es auch anders geht, dass man mit den Herausforderungen der Zeit wachsen kann, statt sie zu ignorieren, hat ihre Namensverwandte und Zeitgenossin Maragarethe von Wrangell gezeigt.
Kein „peinliches Buch“ – mit dem Abstand von 100 Jahren eher ein trauriges.

Margarethe Ludendorff: Als ich Ludendorffs Frau war, Drei Masken Verlag A.G., 346 Seiten.

Links

Kurt Tucholsky, „Die Karikatur Preußens“; als Ignaz Wrobel, in: Die Weltbühne, 30.07.1929, Nr. 31, S. 183.

Die erste Stuttgarter Professorin, Artikel über Margarethe von Wrangell

 
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