Die andere Margarethe – Ludendorffs Frau
„Als ich Ludendorffs Frau war“…
erzählt aus dem gemeinsame Leben mit ihrem Mann Erich bis 1925. Ein nettes Zeitdokument über das Gedankengut der national und völkisch eingestellten Militärelite.
Schloss Gripsholm und Rheinsberg kennt ihr doch bestimmt? – Zwei sinnliche Liebesromane mit selbstbestimmten Frauen und offener Sexualität, die ich im jungen Erwachsenenalter sehr mochte.
Daneben aber war Kurt Tucholsky (* 09.01.1890 in Berlin; † 21.12.1935 in Göteborg) vor allem ein politischer Journalist und nicht zuletzt Literaturkritiker. Seine markigen Rezensionen erschienen zumeist als Beiträge in der Linksintellektuellen Zeitschrift „Die Weltbühne“ von 1913 bis 1932, insgesamt über 500 an der Zahl. Einige davon hat der Publizist Fritz J. Raddatz als Bändchen bei rororo herausgegeben (1972), das sich übrigens entgegen meiner Erwartung ziemlich interessant und am Stück runterliest. Die gesammelten Rezensionen lassen sich auch online einsehen.
In den Fällen, die ich beurteilen kann, war Kurt Tucholsky nicht gerade zimperlich in seiner Kritik. Ganz sicher hat er aber immer einen wahren Kern getroffen und die Schärfe seiner Urteile mit humorvollen Formulierungen kaschiert.
James Joyce: Wer selbst schon versucht hat, sich durch Ulysses zu arbeiten und daran gescheitert ist, wird den Vergleich mit einer Suppenwürze schmunzelnd anerkennen: „Liebigs Fleischextrakt. Man kann es nicht essen. Aber es werden noch viele Suppen damit zubereitet werden“ (23) – will sagen: diese erratisch aneinandergereihten inneren Gedankenflüsse in Joyce’s Roman sind in dieser extremen Weise ungenießbar, haben aber eine neue Schreibart geprägt, der viele Nachahmer finden wird.
Über Irmgard Keuns Gigli (➛ vergl. meine Rezension) seufzt er, „Wenn Frauen über Liebe schreiben, geht das fast immer schief“ (125), und mokiert, dass die Hauptfigur in ihrer Redensart „grade Freud gefrühstückt“ hätte. Stimmt. Von so vielen schön ziselierten und kokett zur Schau getragenen Komplexen hat man vorher noch nie gelesen – die Rheinländerin Keun macht es im Stil neuer psychologischer Sachlichkeit vor und viele ihr nach.
Erich Kästner gar unterstellt Kurt Tucholsky sächsischen „Geiz“ und „Kleinlichkeit“, fordert ihn auf „etwas abwechslungsreicher“ zu sein und wünscht dem Dichter ein „leichtes Leben und eine schwere Kunst“ (128 f.). Richtig. Kästner gehört zu den ehrlichen und nicht skandalumwitternden Autoren, ist direkt und nennt seinen Fabian sogar ein „moralisches Buch“. Und trotzdem kenne ich keine poetischere Karikatur mit mehr Biss als dieses Werk, abgefahren und beschwingt – aber eben nicht als nachahmenswerten Lebensentwurf geschrieben, sondern als Persiflage. Ist das bieder? – Ein bisschen, aber auf höchst möglichem Niveau.
Über Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues schreibt Kurt Tucholsky: „Das Buch ist keine großes Kunstwerk, aber ein gutes Buch“ (164). Zudem bezweifelt er dessen „aktive pazifistische Wirkung“ und prognostiziert, dass der Autor nie mehr einen solchen Erfolg landen wird und alle Folgewerke nur noch das entlarvende Label „Vom Verfasser vom ‚Im Westen nichts Neues'“ erhalten werden. Gut. Es war nicht zu erwarten, dass die nüchterne (und insofern ehrliche) Schilderung des Kriegs bei Remarque den nächsten verhindern würde, aber als Fanal gegen Dummheit und Kriegstreiberei ist es fest in der Erinnerung geblieben – gerade heute hat ein auf dieser Vorlage beruhender Film von Regisseur Edward Berger zahlreiche ➛ Oscar-Nominierungen erhalten.
Über andere wie Bert Brecht, Alfred Döblin (Linke Poth), Hans Fallada, Franz Kafka und Heinrich Mann äußert er sich überwiegend voll des Lobes, bedauert, dass seine „wenigen Zeilen“ nicht die „künstlerische Größe“ (53) ausschöpfen können, findet es einfach „himmlisch“ (201) und schwelgt: “ Wir dürfen lesen, staunen und danken“ (15). Einige der großen Literaten seiner Zeit hat er wohl erkannt und ihnen den gebührenden Respekt gezollt.
Kurt Tucholsky konnte zweifelsohne scharfzüngig sein, wollte dies jedoch von wenigen Ausnahmen abgesehen (zu denen ich noch kommen werde) nicht als Missgunst und Herabwürdigung missverstanden wissen.
Seit ich mich bemühe, eine bunte und möglichst lehrreiche Buchkritik zu machen, ist mein erstes Bestreben dies gewesen: nicht das Literaturpäpstlein zu spielen. Das kann es nicht geben, und das soll es auch nicht geben. Jeder, der kritisch tätig ist, sollte täglich dreimal dieses Gebet beten: Damit, dass du kritisierst, bist du dem Werk nicht überlegen; dadurch bist du ihm nicht überlegen; dadurch bist du ihm nicht überlegen. ( ➛Q.)
Die nette Verniedlichung „Literaturpäpstlein“ zeigt seine Einstellung. Der Kritiker ist sich grundsätzlich der eigenen Begrenztheit, dem immer subjektiven Kontext bewusst – so gibt Tucholsky z.B. offen zu, dass er mit Robert Musil nichts anfangen kann, obwohl er ihn für ein bedeutenden Literaten hält.
Sehr viel aber ist ausgesagt, wenn man Kritik als den Zusammenstoß eines Kopfes mit einem Buch ansieht; wenn es dann, nach Lichtenberg, hohl klingt: das muß nicht immer am Buch liegen. Das kann auch am Kopf liegen. Und ich möchte nicht, dass es hohl klingt. ( ➛Q.)
Auch wenn Kurt Tucholsky selbst als Autor Gegenstand der Kritik ist, will er sich nicht davon abhalten lassen, seine Kritiken offen und in einem Geist der Ehrlichkeit und des Respekts zu schreiben:
Mir klopft das Herz nicht schneller: nicht, wenn sie mich zerreißen, nicht, wenn ich sie zerreiße. Es gibt nur zwei eherne Gesetze für die Kritik: die Wahrheit zu respektieren und, von ganz seltenen Fällen abgesehen, das Privatleben des Kritisierten unberührt zu lassen. ( ➛Q.)
Und übrigens gilt: „Literarische Erfolge beweisen zunächst nicht viel für den Wert eines Werkes. Überschreiten sie aber ein gewisses Maß, so zeigen sie etwas an: nämlich nicht so sehr die Qualität des Buches als den Geisteszustand der Massen“ (166). Und dann ist nicht der Autor zu kritisieren, sondern vielmehr die „Leser“. Das ist doch auch ein gutes Prinzip, oder?
Die Grenze zum Verriss und zur Verdammung überschreitet Kurt Tucholsky nur, wenn er bare Dummheit und gefühllose Ignoranz ausmacht. Dann wird er ungnädig, gegen die SPD und ihren „feigen“ Reichspräsidenten Ebert (191), gegen „Scheindemokraten“ (192), gegen „Justizuntaten“ und die „gefährlichen Irren“ unter den Direktoren der Haftanstalten, gegen die „erschreckende Geistlosigkeit“ der Hitler-Bewegung (195) , gegen die „Unterdrückung“ durch die „imperialistischen Mächte“ (185, „Wir brauchen keine Kolonien“ 182), gegen die „kalte Rohheit“ der deutschen Offizierskorps“ (146, 140) … ja, gegen alles das, woran Kurt Tucholskys politisches Herz schwer trägt: Ungerechtigkeit, Geistlosigkeit, Unterdrückung und Kriegstreiberei.
Und ehrlich gesagt, macht ihn das sehr sympathisch. Diese engagierten Passagen sind ausgesprochen spannend zu lesen und zeigen deutlich, dass es einige wenige gab, die das Unheil der Nazizeit vorausgesehen haben und es mit aller schriftstellerischer Macht zu verhindern suchten.
Leider vergeblich. Kurt Tucholsky starb 1935 im Exil.
Es ist legitim, seine Meinung auch über die Werke anderer in klarer Form zum Ausdruck zu bringen, sofern eines klar ist: Niemals stellt sich der Kritiker über dem Schriftsteller, nie wird seine Person angegriffen. Immer macht man die Grenzen des eigenen Kopfs deutlich. Und wo es einem wirklich gegen die Hutschnur läuft und echte Grotesken und Dummheiten anzuprangern sind, darf auch mal das Engagement mit einem durchgehen.
An diesem Maßstab will auch ich mich messen. Danke Kurt!
KURT TUCHOLSKY: Literaturkritik. Mit einer Vorbemerkung von Fritz J. Raddatz, Rowohlt 1985 (1972), 268 Seiten
Weiterführende Links:
➛ Alle Rezension aus der Feder von Kurt Tucholsky sind unter textlog.de online zugänglich.
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